Abhängigkeitserkrankungen
"Abhängigkeit ist eine Erkrankung und keine Willens- oder Charakterschwäche"
Von den nicht-stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen wie dem pathologischen Glücksspiel unterscheidet man die stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen, die durch den Gebrauch von Suchtmitteln wie Alkohol, Nikotin, Medikamenten, Heroin oder Kokain entstehen können.
Ein Blick in die Kunst- und Literaturgeschichte zeigt, dass der Gebrauch von Suchtmitteln sowohl schöpferische als auch zerstörerische Kräfte freisetzen kann.
Beispielsweise waren die Literaturnobelpreisträger Hemingway, Steinbeck oder Faulkner alkoholabhängig. Vom französischen Lyriker Baudelaire heißt es: „Berauscht Euch mit Wein, mit Versen oder mit Tugend“. Selbst war er abhängig von „der grünen Fee“ Absinth, einer Mischung aus Alkohol und Kräuterextrakten, die in den Werken von Manet, Picasso und Zola thematisiert wurde. In Intellektuellen- und Künstlerkreisen verbreitet war auch das ursprünglich von Paracelsus aus Wein und Opium gemischte Laudanum (Opiumtinktur, von ihm „Stein der Unsterblichkeit“ genannt), zu dessen bekanntesten Konsumenten die Briten Coleridge und De Quincey („Bekenntnisse eines englischen Opimumessers“) zählten. Seinem Freund Cocteau schilderte Picasso einst: „Nichts riecht so wenig dumm wie Opium. Vielleicht noch etwa der Zirkus und ein Hafen“. Dieser antwortete: „Der Alkohol bewirkt Anfälle von Wahnsinn. Das Opium ruft Anfälle von Weisheit hervor“. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts breiteten sich ausgehend von China in allen westlichen Ländern Opiumhöhlen aus – Rauchersalons der Morphinisten, unter ihnen auch bekannte Intellektuelle und Künstler. Hierzulande wurde aus Opium Heroin hergestellt und anfänglich als Hustensaft verkauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach dem Vietnamkrieg stieg die Zahl der Heroinabhängigen weltweit stark an, da viele Soldaten mit Morphin und Heroin in Kontakt gekommen waren. In der Rock-, Punk- und Jazz-Szene der 1970er und 1980er Jahre war Heroin eine verbreitete Droge, die viele Opfer forderte, darunter die Sängerin Janis Joplin, Symbolfigur der Hippiezeit. Heute gibt es in Deutschland ca. 180.000 Heroinabhängige.
Verbreiteter noch als Heroin ist der Konsum von Kokain, das als Crack-Kokain das höchste Abhängigkeitspotenzial aller illegalen Drogen überhaupt aufweist. Die meistverbreitete suchterzeugende Substanz ist jedoch das im Tabak enthaltene Nikotin. Jährlich erliegen in Deutschland etwa 140.000 Menschen den tödlichen Folgen des Rauchens.
Nach den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Kriterien besteht ein Abhängigkeitssyndrom, wenn drei der unten aufgeführten sechs Symptome gleichzeitig vorliegen:
- Heftiges Verlangen nach dem Suchtmittel
- Kontrollverlust bezüglich Menge und Dauer des Konsums
- Körperliche Entzugsbeschwerden
- Toleranzentwicklung (Dosissteigerung oder Wirkungsverlust)
- Aufgabe ursprünglicher Interessen oder Aktivitäten (das Suchtmittel wird zum Lebensmittelpunkt)
- Fortdauernder Konsum trotz negativer sozialer und gesundheitlicher Folgen
Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf Suchtmittel. Beispielsweise führt Alkoholgenuss bei vielen Menschen zu gehobener Stimmung und entspannter Geselligkeit, bei anderen hingegen zu tiefer Melancholie oder riskantem Verhalten.
Die Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung beitragen, sind vielfältig und können im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Nicht selten werden Suchtmittel eingenommen, um Versagensängste zu reduzieren oder sich nach Stresssituationen zu entspannen. Hieraus kann eine fortgesetzte „Selbstbehandlung“ resultieren, die in eine Abhängigkeitserkrankung mündet.
Gefährdet von der Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung sind insbesondere Menschen, die gar nicht bemerken, wie das Suchtmittel schleichend zum festen Bestandteil ihres Lebens wird, bis schliesslich ein Leben ohne dieses Suchtmittel gar nicht mehr möglich ist, weil sonst schwere Entzugssymptome drohen.
An dieser Stelle kann ein persönliches Gespräch beim Hausarzt, in einer Suchtberatungsstelle oder in unserer Ambulanz klären, ob eine Abhängigkeitserkrankung vorliegt und der Wunsch besteht, durch eine gezielte Behandlung den Teufelskreis der Abhängigkeit zu durchbrechen.
Ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung ist das Vorliegen einer anderen psychiatrischen Erkrankung, allen voran Angststörungen und depressive Störungen, aber auch chronische Schmerzsyndrome. Oft glauben die Betroffenen, durch eine erfolgreiche Behandlung dieser Störungen würde ihre Abhängigkeitserkrankung von allein verschwinden. Dies ist in der Regel aber nicht der Fall, weil sich die Abhängigkeit längst verselbständigt hat und eine zusätzliche kompetente Behandlung erfordert.
Der Behandlung voraus geht häufig die motivierende Beratung beim Hausarzt, in einer Suchtberatungsstelle oder in unserer Ambulanz. Liegt ein Abhängigkeitssyndrom vor und besteht der Wunsch nach Verzicht auf das Suchtmittel (Abstinenzscheidung), wird eine qualifizierte Entzugsbehandlung auf einer unserer Stationen empfohlen, der sich oft eine weiterführende rehabilitative Maßnahme (stationäre oder ambulante Entwöhnungstherapie zum Aufbau eines suchtmittelfreien Lebensstils) und eine ambulante Langzeitbetreuung (z.B. der Besuch von Selbsthilfegruppen und soziotherapeutischen Einrichtungen) anschliesst.
Jeder stationäre Enzug ist immer eingebettet in einen multidimensionalen Behandlungsplan bestehend aus entzugslindernder medikamentöser Therapie, unterstützender Psychotherapie in Einzelgesprächen und Gruppen, Begleittherapien (darunter Ergotherapie, Bewegungstherapie und Entspannungstherapie) sowie sozialpädagogischer Betreuung.
Der Entzug sollte unter allen Umständen unter ärztlicher Kontrolle stattfinden und nicht selbständig im häuslichen Umfeld, um den Schutz vor möglichen Komplikationen und eine Überwachung medizinischer Risiken sicherzustellen.
In Deutschland leiden ca. 1,6 Millionen Menschen an einer Medikamentenabhängigkeit. Frauen und ältere Menschen sind hiervon besonders häufig betroffen. Abhängig werden kann man von vielen Medikamenten, darunter Beruhigungsmittel (Sedativa), Schlafmittel (Hypnotika), Aufputschmittel (Stimulanzien) und Schmerzmittel (Analgetika).
Die Besonderheit einer Medikamentenabhängigkeit besteht darin, dass die Betroffenen das Medikament von Beginn an gezielt zur Linderung einer körperlichen oder psychischen Symptomatik einnehmen, hierbei aber bereits nach Wochen eine körperliche Abhängigkeit entstehen kann: Die Patienten haben den Eindruck, dass sich ihre ursprüngliche Symptomatik verschlechtert, während sie ihr Medikament zunehmend nur noch zur Linderung ihrer Entzugserscheinungen nehmen.
Schilderung eines Betroffenen:
„Ursprünglich bekam ich diese Beruhigungsmittel von meinem Arzt verschrieben, als ich beruflich ungeheuer viel Stress hatte und unter massiven Versagensängsten litt. Das hat am Anfang auch geholfen. Aber ohne Medikamente ging sehr bald gar nichts mehr. Ich hatte sofort Herzrasen, Hitzewallungen und war innerlich sehr angespannt. Es wurde immer schwieriger, meinen Arzt davon zu überzeugen, mir die Pillen weiter zu verschreiben. Ich hatte irgendwann mehrere Ärzte, die wussten gar nichts voneinander. Ich habe dann auch mehrere Präparate ausprobiert. Meine Umwelt hat von all dem praktisch nichts mitgekriegt. Später bin ich dann ab und zu hingefallen, da hat das mit der Dosierung nicht immer so geklappt.“
Laut dem Suchtbericht 2011 der Bundesregierung gibt es in Deutschland etwa 1,4 Millionen Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit, von denen nur ca. 10% eine Therapie in Anspruch nehmen. Die klinische Praxis zeigt außerdem, dass Alkoholpatienten in Deutschland lange Zeiträume verstreichen lassen, bevor sie eine angemessene Behandlung aufnehmen. Scham und Bagatellisierung spielen dabei eine Rolle. Dabei hat langjähriger übermäßiger Alkoholkonsum bekanntermaßen schwerwiegende Langzeitfolgen. Laut Suchtbericht ist jeder fünfte Todesfall zwischen 35 und 65 Jahren alkoholbedingt.
Unsere Klinik bietet sowohl stationäre, teilstationäre als auch ambulante Angebote für Patienten mit einer Alkoholproblematik an. Ein wichtiger Fokus im Rahmen der ausführlichen Diagnostik ist in unserer Klinik die Abklärung und Behandlung von möglichen begleitenden Erkrankungen wie affektive Störungen und deren leitliniengerechte Behandlung.
Wenn Sie unsicher sind, welche der zahlreichen Behandlungsmöglichkeiten für Sie die richtige ist oder ob Sie überhaupt spezifische Hilfe benötigen, nehmen Sie in unserer Spezialambulanz für Menschen mit Alkoholabhängigkeit ein individuelles Beratungsgespräch wahr. Die Fachambulanz bietet die Möglichkeit, Patienten mit Alkoholproblemen einen unkomplizierten Weg zu einer qualifizierten Behandlung aufzuzeigen. Über die Ambulanz kann, falls notwendig, auch eine stationäre Therapie und gegebenenfalls tagesklinische Behandlung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn eingeleitet werden. Wir helfen aber auch bei der Suche einer adäquaten Alternative.
Schilderungen von Betroffenen:
„Ich wollte es lange nicht wahrhaben, dass ich alkoholabhängig bin. So richtig betrunken war ich eigentlich ganz selten. Das ist alles irgendwie schleichend gekommen. Am Schluss brauchte ich den Alkohol ständig, wegen meines Zitterns und der Schweißausbrüche. Schon morgens, sonst konnte ich gar nicht mehr aus dem Haus. Natürlich habe ich versucht, mir das nicht anmerken zu lassen. Eine Behandlung habe ich immer abgelehnt, mir eingeredet, das schaffst Du schon auch so. Es fällt mir wirklich schwer, Hilfe anzunehmen.“
„Nach meiner ersten Behandlung lief zunächst alles richtig gut für mich. Ich habe nichts mehr getrunken und angefangen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Aber eines Abends war ich im Kreis meiner alten Kumpels und da habe ich eben ein Glas mitgetrunken. Leider blieb es nicht dabei. Irgendwann habe ich mir dann gesagt, jetzt ist es sowieso egal. Ich war total enttäuscht von mir, machte mir Vorwürfe, schämte mich schrecklich. Ich wollte auch lange nicht wieder in eine Behandlung, weil eigentlich weiß ich doch alles, was sollen die mir schon Neues sagen?"
Im Fall einer polyvalenten Abhängigkeit kann das Therapieziel auch die Beikonsumentgiftung unter Einstellung auf die kontrollierte Einnahme einer Ersatzsubstanz (Substitutionsbehandlung) sein.
Zur medikamentösen Unterstützung bei der Entwöhnungsbehandlung kann die Einstellung auf einen Opioid-Antagonisten wie Naltrexon nach einer erfolgreichen Opioid-Entgiftung erfolgen.
Für Menschen mit schwerster Opioid-Abhängigkeit wurde in einer gemeinsamen Initiative mit der Bundesstadt Bonn und den Hilfswerken Diakonie und Caritas ein spezielles Zentrum zur Diamorphin-gestützten Substitutionsbehandlung eingerichtet.