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Fragen und Antworten für Patient*innen und Eltern

Die Entwicklung des Kopfes und des Gesichtes findet zwischen der vierten und zehnten Schwangerschaftswoche mit der Fusion von fünf Gesichtswülsten – einem singulären Stirnwulst, einem paarigen Oberkieferwulst (re./li.) und einem paarig angelegten Unterkieferwulst statt. Dies geschieht durch einen Informationsaustausch zwischen einem sogenannten Hinterhaupt- und Vorderhauptorganisator der über Signalproteine vermittelt wird (hedgehog Gene).

In der Regel verwenden wir ein Konzept, bei dem mehrere Operationen erforderlich sind (Tollefson et al., 2008). Oberstes Ziel ist dabei für uns die sichere Versorgung sowie eine bestmögliche langfristig ausgerichtete Funktion und Ästhetik (Martini et al., 2012). Die Zusammenfassung von vielen, oft sehr, sehr komplexen Operationsschritten während der Wachstumsphase kann auch das Risiko erhöhen.

Lippe

Die Lippe wird mit circa 4-6 Lebensmonaten verschlossen.

Gaumen

Der Gaumenverschluss wird zwischen dem 18.-24. Lebensmonat, wenn möglich mit einzeitigem Verschluss des harten und des weichen Gaumens, vorgenommen. Bei sehr breiten Spalten erfolgt dieser ggf. auch zweizeitig, d. h. in jeweils einer Operationssitzung im Abstand von 6 Wochen, um einen möglichst langen Gaumen mit guter Abschlussfunktion gegen den Rachen zu erreichen.

Kiefer

Die Auffüllung des Spaltes im Kieferbereich mit Knochen vom Beckenkamm (Osteoplastik) wird vor dem Durchbruch der spaltnahen Zähne zwischen dem 8.-11. Lebensjahr durchgeführt.

Mit dem chirurgischen Verschluss von Lippe, Gaumen und Kiefer soll zum einen das äußere Erscheinungsbild, die Ästhetik, zum anderen die Schluck- und Sprechfunktion hergestellt werden. Dies kann nur durch die Herstellung anatomisch korrekter Verhältnisse im Mund- und Nasenbereich erreicht werden. Entscheidend ist dies auch für eine dem Alter entsprechende seelische Entwicklung.

Abgesehen von den regelhaften Operationszeitpunkten werden grundsätzlich bei jedem Kind der Zeitpunkt und die genaue operative Vorgehensweise individuell festgelegt - allerdings wie bereits oben angegeben in gewissen Zeitfenstern, die sich nach Abwägung aller Vor- und Nachteile im Rahmen einer langjährigen klinischen Erfahrung an unserem Zentrum als günstig erwiesen haben; dies in Anlehnung an wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse (Friede 2007, Rohrich et al., 2000, Yang and Liao 2010).

Die Gründe für die Vorgehensweise möchten wir Ihnen im Folgenden erläutern:

Der Verschluss von Lippenspalten wird in der Regel mit 4-6 Lebensmonaten durchgeführt. In diesem Alter ist beim sonst gesunden Kind der Allgemeinzustand mit einem Körpergewicht von 5000-6000g und einem Hämoglobinwert von 10g/dl gut, so dass eine Vollnarkose ohne erhöhtes Risiko durchgeführt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt sind die spaltnahen Gewebe kräftiger ausgebildet, was eine stabile Rekonstruktion begünstigt. Zudem wird für die Gewebeausformung über das oben beschriebene Nasoalveolar molding (NAM) ein Zeitraum von 4-6 Monaten benötigt. Der Lippenverschluss zu einem früheren Termin kann zu einer Wachstumshemmung des Oberkiefers durch Narbenzug führen, deren Korrektur unter Umständen ausgedehnter Sekundäroperationen bedarf.

Die Wahl des Operationstermins für die Gaumenspaltplastik zwischen dem 18. bis 24. Lebensmonat beruht als Kompromiss auf zwei Gesichtspunkten.

  1. Für die altersgerechte Sprachentwicklung mit Bildung von Mehrwortsätzen müssen die anatomischen Voraussetzungen geschaffen werden, das heißt der Gaumen muß bis zu diesem Zeitpunkt verschlossen sein.
  2. Je früher am Gaumen operiert wird, desto größer das Risiko folgenschwerer Wachstumsstörungen im Bereich des Oberkiefer-Mittelgesichtskomplexes durch die entstehende Narbenbildung.

Bei großen Spalten können zwei Operationssitzungen erforderlich sein, um zur Überbrückung vorliegender großer Distanzen einen möglichst sicheren Abschluss des Gaumens gegen die Rachenhinterwand ohne Überstrapazierung der Gewebe gewährleisten zu können. Diese Funktion ist für die Bildung klarer Vokale und Konsonanten und für das Schlucken nötig.

Anhand unseres Behandlungskonzeptes und einer schonenden Operationstechnik erzielen wir gute Langzeitergebnisse, so dass sprachverbessernde Operationen zum Zeitpunkt der Einschulung (sog. Velopharyngoplastik) eher die Ausnahme darstellen.

Der knöcherne Verschluss der Kieferspalte wird im Wechselgebiss zwischen 8. und 11 Lebensjahr durchgeführt. Der Durchbruch spaltseitiger bleibender Zähne (meist der Eckzahn) in den aufgefüllten Kieferbereich wird dadurch oftmals erst ermöglicht. Der genaue Operationszeitpunkt ist abhängig vom anstehenden Zahndurchbruch.

Die Frühbehandlung mit der Säuglings-Gaumenplatte wird bei ein- oder doppelseitig durchgehenden Spalten sowie bei großen isolierten Gaumenspalten durchgeführt. Sie ist im Vorfeld der Operation ein wichtiger Bestandteil unseres Behandlungskonzeptes.

Mit der Gaumenplatte kann das Kind die Mundhöhle besser gegen die Nasenhöhle abschließen; dadurch kann das Trinken und Schlucken erleichtert werden. Wie ein künstliches Gaumendach ermöglicht die Gaumenplatte der Zunge, sich in einer normalen Lage zu halten; nach dem späteren operativen Verschluss des Gaumens wird dadurch das Sprechen Lernen erheblich erleichtert.

Die Gaumenplatte ist ein Teil einer weiteren frühen Behandlung, die als Nasoalveolar molding (NAM) bekannt ist.

Die Ziele von NAM sind:

  • Langfristige Verbesserung der Form der Nase
  • Verminderung der Anzahl, des Ausmaßes und der Komplexität von zukünftigen Lippen- und Nasenkorrekturen
  • Verminderung der Notwendigkeit von Knochentransplantationen im Alveolarfortsatzbereich
  • Verbesserung der Oberkieferentwicklung

Dabei wird das knorpelige Gerüst der Nase in der Frühphase nach der Geburt mit kleinen Stegen aus Kunststoff geformt, die als sog. Nasenpelotten an der Gaumenplatte befestigt werden. Sie bewirken eine Verlängerung des Nasensteges (Columella), einen Gewebezugewinn der Nasenschleimhaut im Spaltbereich und eine Verbesserung der Symmetrie der Nasenspitze. Der Nasenknorpel wird symmetrischer, die Nasenflügel ausgepolstert und konvexer ausgeformt. Darüber hinaus werden die gespaltenen Lippensegmente verlängert, indem sie mit Haftstreifen zueinander gezogen werden: eine wichtige Maßnahme, die den operativen Verschluss der Lippe erleichtert. Durch den intraoralen Teil der NAM-Apparatur, die Gaumenplatte, reduziert sich zusätzlich die Breite der Kiefer- und Gaumenspalte. Durch die verminderte Spannung zwischen den Lippensegmenten sind auch ästhetisch günstigere Ergebnisse der Narben zu erwarten.

In einigen Studien konnte der Vorteil für die Patienten durch den Einsatz von NAM-Apparaturen gezeigt werden (Barillas et al., 2009, Lee et al., 2008, Maull et al., 1999). Die NAM-Technik wurde in der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Bonn im Jahr 2008 eingeführt und seit dem weiterentwickelt. Der Schwerpunkt wurde auf höchst mögliche Effizienz der Apparatur bei gleichzeitiger einfacher Handhabung und ästhetischer Anwendung (maximale Kaschierung der Spalte) gelegt (Daratsianos and Jäger 2011). Von chirurgischer Seite wurde das Konzept ebenso modifiziert, um der spaltbedingt veränderten Nasenknorpelanatomie und der nun früh zu erreichenden Nasensymmetrie Rechnung zu tragen.

Die Abdrucknahme und die Eingliederung der Gaumenplatte werden in den ersten Lebenstagen vorgenommen, da nur in der Frühphase durch die noch im kindlichen Blutkreislauf befindlichen, mütterlichen Hormone eine Neugestaltung des Nasenknorpels möglich ist. Liegt eine Lippenspalte vor, werden später Stege mit sogenannten Pelotten zur Formung der Nase an die Platte befestigt. Die Gaumenplatte wird bis zum operativen Verschluss des Gaumendaches getragen.

Die stationäre Betreuung erfolgt in der Kinderklinik der Universitätsklinik Bonn oder im St.-Marienhospital Bonn. Es ist selbstverständlich möglich und auch erwünscht, dass ein Elternteil, nach vorheriger Anmeldung, in einem Zimmer zusammen mit dem operierten Kind übernachten kann. Es ist ohne weiteres möglich, 24 Stunden bei Ihrem Kind zu bleiben.

  • Barillas I, Dec W, Warren S M, Cutting C B, Grayson B H 2009 Nasoalveolar molding improves long-term nasal symmetry in complete unilateral cleft lip-cleft palate patients. Plast Reconstr Surg, 123:1002-1006; discussion 1007-1009
  • Daratsianos N, Jäger A 2011 Nasoalveolar Molding with simple and esthetic appliances. 9th European Craniofacial Congress. Salzburg, Austria: Medimond Srl.
  • Friede H 2007 Maxillary growth controversies after two-stage palatal repair with delayed hard palate closure in unilateral cleft lip and palate patients: perspectives from literature and personal experience. The Cleft palate-craniofacial journal : official publication of the American Cleft Palate-Craniofacial Association, 44:129-136
  • Lee C T, Garfinkle J S, Warren S M, Brecht L E, Cutting C B, Grayson B H 2008 Nasoalveolar molding improves appearance of children with bilateral cleft lip-cleft palate. Plast Reconstr Surg, 122:1131-1137
  • Martini M, Messing-Jünger M, Schindler E 2012 Plastic and craniofacial surgery. In: Gregory GA, Andropoulos DB (eds.). Gregory’s Pediatric Anesthesia. Wiley-Blackwell. Chichester, West Sussex, UK, pp. 810-844
  • Maull D J, Grayson B H, Cutting C B, Brecht L L, Bookstein F L, Khorrambadi D, Webb J A, Hurwitz D J 1999 Long-term effects of nasoalveolar molding on three-dimensional nasal shape in unilateral clefts. Cleft Palate Craniofac J, 36:391-397
  • Rohrich R J, Love E J, Byrd H S, Johns D F 2000 Optimal timing of cleft palate closure. Plastic and reconstructive surgery, 106:413-421; quiz 422; discussion 423-415
  • Tollefson T T, Senders C W, Sykes J M 2008 Changing perspectives in cleft lip and palate: from acrylic to allele. Arch Facial Plast Surg, 10:395-400
  • Yang I Y, Liao Y F 2010 The effect of 1-stage versus 2-stage palate repair on facial growth in patients with cleft lip and palate: a review. International journal of oral and maxillofacial surgery, 39:945-950
 
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